Regionalliga
Siegen: Torjäger Patrick Helmes (20) auf dem Weg in Richtung Bundesliga - 09.11.2004 09:47
Und dann klingelt ein Weltmeister …
Wolfgang Overath, Bernd Hölzenbein, Ulf Kirsten, Olaf Marschall, Andreas Müller, Dieter Eilts, Michael Skibbe. Das ist heute. Gestern war SuS Stadlohn, Vorwärts Kornharpen, SC Hassel oder Fichte Bielefeld. So hießen bis zum Sommer die Gegner der Siegener Reserve, in der Patrick Helmes zumeist kickte. In kürzester Zeit ist der Stürmer durch zwei Hand voll Tore in der Regionalliga zum begehrtesten Nachwuchsmann der Republik geworden. Deutschlands Top-Leute beobachten ihn.
Warum dies so ist, zeigt nahezu jede Trainingseinheit. Der 20-Jährige ist pfeilschnell und schießt rechts wie links gleichwertig, ebenso hart wie präzise. Sein Coach Ralf Loose glaubt sogar, dass Helmes sich seines großen Potenzials noch gar nicht ganz bewusst ist: "Gegen Offenbach hat er aus 18, 20 Metern ins Tor getroffen. Aus dieser Distanz zieht er bei seinen Fähigkeiten noch viel zu selten ab."
Loose, seit Saisonbeginn in Siegen, räumt seinem Schützling viele Freiräume ein. Weil dieser während seiner Lehre zum Elektroinstallateur zuletzt eine zweiwöchige Schulung hatte, wurde das Training von 15 auf 16 Uhr verlegt. Auch wenn die Schlussviertelstunde seit der Zeit-Umstellung im Dunkeln stattfindet, weil es kein Flutlicht gibt. Zum Spiel in Elversberg reiste die Mannschaft am Donnerstag, Helmes wurde tags darauf von einem Angestellten der Geschäftsstelle gebracht. "Wenn du so etwas tust, brauchst du Argumente", weiß Loose. Helmes liefert sie - in Form von Toren. In Elversberg erzielte er, wie zuvor gegen Regensburg, den 1:1-Endstand.
Für seine Leistungsexplosion macht der Stürmer den ehemaligen Liechtensteiner Nationalcoach verantwortlich: "Wir machen viel Koordinations- und Krafttraining. Ich bin wesentlich stabiler geworden, habe vor ein paar Monaten noch 75 Kilo gewogen. Jetzt sind es 79. Langsamer bin ich nicht. Wenn mich ein Gegenspieler anrempelt, laufe ich einfach weiter." Nicht nur körperlich, auch mental ist die Stabilität gewachsen: "Die Gegner kennen mich inzwischen, ich werde oft gedoppelt. Und es gibt immer häufiger Versuche, mich mit dummen Sprüchen zu provozieren. Aber dann haue ich wieder einen rein, und es ist Ruhe." Tore sind eben die besten Argumente. Die Prognose von Ralf Loose: "Ich bin überzeugt, dass sich Patrick in dieser Saison noch weiter steigern wird. Von der WM 2006 will ich nicht reden, aber er hat die Fähigkeiten, irgendwann in den Kader der Nationalelf vorzustoßen."
Lange Spaß werden sie in Siegen, das in den Jahren zuvor zwei Mal hintereinander sportlich abgestiegen war, nur durch die Lizenzverweigerung für einen anderen Klub die Regionalliga Süd hielt und nun sensationell in der Spitzengruppe mitmischt, an Patrick Helmes nicht mehr haben. Sein Vertrag wurde bis 2006 verlängert, doch es gibt eine Ausstiegsklausel für den Wechsel zu einem Profiklub. Immerhin steht den Sportfreunden eine festgeschriebene Ablöse zu. Auch der Spieler bekommt seinen Teil, was ihm erlaubte, sich im Vorgriff einen schmucken, 225 PS starken Seat zu leisten. Denn, so Helmes: "Auch wenn Siegen aufsteigt, gehe ich. Bis zur Winterpause steht fest, wohin."
Aber wie entscheiden bei der Fülle der Möglichkeiten? Patrick Helmes helfen zwei Bezugspersonen: Vater und Ex-Profi Uwe (46 Jahre, 30 Bundesligaspiele/6 Tore für den MSV Duisburg sowie 206 Zweitligaeinsätze/59 Tore für Duisburg, Lüdenscheid und Fortuna Köln). Dazu sein Manager Gerd vom Bruch (63), einst Trainer bei Borussia Mönchengladbach. Die Wunschliste: Es sollte ein Erst- oder ambitionierter Zweitligist sein, der höchstens eine Autostunde von Siegen liegt. Weit wichtiger als die Verdienstmöglichkeiten ist die Aussicht, auf eine adäquate Zahl an Einsätzen zu kommen. Auch wenn es niemand explizit sagt, heißt der Favorit Köln, zumal Patrick dort drei Jugendjahre spielte (zwei C, ein B). Noch ein Pluspunkt: Der FC hat Helmes zur Chefsache erklärt. Präsident Wolfgang Overath ist kürzlich in den Siegener Vorort Alchen, rund 1500 Einwohner, aufgebrochen und hat im Einfamilienhaus im Mertenseifer Grund seine Aufwartung gemacht. Mit einem Trikot seines Vereins in der Hand, beflockt mit der Nummer 9 und dem Namen Helmes. Wenn ein Weltmeister höchstpersönlich plötzlich an der Tür klingelt, wie könnten da ein Ex-Profi und sein 20-jähriger Sohn nein sagen?
Thomas Roth