Auferstanden aus Ruinen
Dem römischen Kaiser Caligula wird nachgesagt, er sei - wie man in Bayern so schön sagt - ein "rechter Hundling" gewesen. Glaubt man den geschichtlichen Überlieferungen, pflegte der Regent des Lateinerreichs, der zwischen 37 und 41 nach Christus den Lorbeerkranz trug, einen äußerst ausschweifenden Lebensstil. So standen beispielsweise lasterhafte Orgien auf der Tagesordnung des partywütigen Herrschers.
Von Alexander Rudolph
Was für eine erfrischende Party!
© GMX
Diese bestanden der allgemeinen Auffassung nach aus ausschweifenden Schlemmereien, Trinkgelagen und dem Verführen junger Frauen durch ältere Männer. Eine bizarre Vorstellung ist das, wenn man an die heute millionenfach bestaunten Ruinen denkt, unter deren Dächern das alles stattgefunden haben soll. Scham oder gar Zurückhaltung war demzufolge stets falsch am Platz und völlig unangebracht. Stattdessen wurde gefeiert, bis sich die Balken bogen und sich sogar die Götter - ebenfalls keine Kinder von Traurigkeit - beschämt abwendeten.
Ebensolches Verhalten haben sich manche Völker, wenn auch in ein wenig abgeschwächter Form, bis heute erhalten. Über Jahrhunderte pflegte man nicht zuletzt auch hierzulande sorgfältig die Tradition des lästerlichen Besäufnisses und optimierte bis heute dessen Abläufe bis zur schamlosen Perfektion. Auch der technische und medizinische Fortschritt versetzt uns endlich in die Lage, deutlich ausschweifender zu feiern, als es noch Generationen vor uns taten. Siehe Aspirin und moderne Ausnüchterungszellen.
Eine der vielen schönen Anlässe, die wir Deutschen nach wie vor gemeinsam gebührend zu begießen wissen, ist die alljährliche Weihnachtsfeier. Von wenigen gehasst und vielen heiß verehrt, liefert dieses Event immer wieder aufs Neue ausreichend Anlass, unter dem Deckmäntelchen der Besinnung und festlichen Zusammenkunft bis in die Puppen auf den Putz zu hauen. Es wird geschlemmt, gebechert und geflirtet bis an die Schmerzgrenze. Kein Azubi-Rock ist noch vor den euphorisierten Kollegen sicher. Selbst Mitarbeiter, die sich noch vor der Eröffnung des reichhaltigen Buffets gehasst haben, findet man dann zu später Stunde knutschend und wüst fummelnd in irgendeiner dunklen Ecke des Saals wieder. Am Morgen danach, wenn der Alkoholdunst gewichen und der Verstand zurückgekehrt ist, werden sie nicht nur alles leugnen, sie werden sich auch auf die nächsten Monate als Hauptzielscheibe des Büro-Gespötts freuen dürfen.
Aber so sind wir Germanen nun einmal - und wir stehen dazu. Wie wäre es, wenn wir diese Fähigkeit einfach als "aus sich herausgehen können" bezeichnen? Gerade in dieser traurigen Phase der Republik mit sinkenden Löhnen, immer mehr Erwerbslosen und Schönheits-OP-Shows müssen wir eben die Feste feiern wie sie fallen. Vielleicht zwingt uns die Konjunktur schon 2005 noch heftiger zum Maß halten - wer weiß das schon? Deshalb sollten wir es in diesem Jahr mal wieder so richtig krachen lassen. Besinnlich können wir auch noch an anderen Adventstagen sein. Außerdem haben uns unsere Väter die Kunst des Feierns so gelehrt. Eine Lektion, die wir gerne immer wieder abrufen. Wen wundert's da noch, dass der gestrenge Vater von Caligula, dem Ursprung aller Festivitäten, bezeichnenderweise Germanicus hieß.
Dienstag, 17. November 2020, 13:00
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